"Mach ich", erwiderte Hermine mit beruhigender Stimme und sah ihm dann kopfschüttelnd hinterher. Sie hatte selten jemanden so schnell eine 180-Grad-Wendung hinlegen sehen wie Raphael. Als er schließlich aus ihrem Sichtfeld verschwand,betrat sie die Burg.

-> Emerelles Turm

An einen anhänglichen Raphael würde sie sich wirklich noch gewöhnen müssen, stellte Hermine fest. "Okay, dann bis morgen", erwiderte sie lächelnd und stellte sich auf die Zehenspitzen, um ihn zu küssen. Das Ziehen an ihrem Bauch ignorierte sie dabei, sie kannte es ja aus ihrer eigenen Welt, dass magisch geheilte Wunden trotzdem noch etwas ziepen konnten, bis die neue Haut nicht mehr so empfindlich war.

Hermine war doch etwas überrascht, dass Raphael sie so eng an sich zog, während sie sich auf den Weg zur Burg machten. Er schien für den Moment tatsächlich über seine ganze Beziehungsphobie hinweg zu sein. Und auch, wenn sie das sehr froh stimmte, so war sie doch vorsichtig, denn sie konnte nicht sicher sein, wie lange das anhalten würde. Irgendwann würde er den Schock über ihren Beinahe-Tod schließlich überwunden haben. Als sie beim Tor der Burg ankamen, blieb sie stehen. "Ich glaube, ab hier schaffe ich es alleine", meinte sie lächelnd zu ihm. So gerne sie auch den restlichen Tag mit Raphael verbracht hätte, sie musste Emerelle finden, und da sollte er nicht dabei sein.

Hermine sah sich suchend in der Halle um, konnte Lucilia aber nirgendwo entdecken. "Sie ist wohl nicht hier", stellte sie enttäuscht fest und kramte dann in ihrer Jackentasche, bis sie ein Stück Papier und einen Bleistift gefunden hatte. Schnell kritzelte sie eine Nachricht, in der sie sich noch einmal für alles bedankte und mitteilte, dass sie mit Raphael zusammen in die Burg zurückkehrte, und legte sie deutlich sichtbar auf eine der Bänke. "Wir können los", meinte sie lächelnd zu Raphael und griff dann kurz entschlossen nach seiner Hand.

-> Basis der Kinder, Tortunnel

Hermine überlegte etwas, gab dann aber nach. "In Ordnung, bis zur Burg", stimmte sie mit einem leichten Lächeln zu. Es war wohl auch einfach die vernünftigere Entscheidung, schließlich hatte ihr der letzte Abend deutlich vor Augen geführt, wie wehrlos sie ohne ihre Magie war. Auch wenn es ihr sehr widerstrebte, auf den Schutz von jemand anderem angewiesen zu sein. Entschlossen stand sie auf, wobei sie kurz schwankte, sich dann aber wieder fing. "Ich möchte nur noch schnell Lucilia finden und mich von ihr verabschieden", meinte sie zu Raphael und ging auch schon los.

-> Halle der Kapelle

"Mal sehen, wie lange der Vorsatz hält", meinte Hermine mit einem nachsichtigen Lächeln. Raphael kam ihr bisher nicht gerade wie der friedfertigste Mensch vor. Bei seiner Frage nickte sie, und schüttelte dann gleich darauf den Kopf. "Alles gut", versicherte sie ihm. "Und du musst mich wirklich nicht begleiten, ich komme zurecht." Zumindest ging sie davon aus, es war schließlich nicht die erste Erfahrung dieser Art, die sie gemacht hatte. Außerdem musste sie dringend mit Emerelle reden, und da konnte Raphael wohl so oder so nicht dabei sein.

Hermine schnaubte nur. "Ja, sicher, als ob", bemerkte sie kritisch, musste dann aber lächeln. Sie war selbst überrascht, wie glücklich seine Worte sie machten, und das, obwohl sie noch vor ein paar Stunden beinahe von einem Mörder getötet worden war.

Hermine biss sich auf die Lippe, um den Drang zu unterdrücken, etwas zu sagen, bevor er fertig war. Als er geendet hatte, schlug sie ihm gegen seine Schulter. "Du bist so ein Idiot!", schimpfte sie los. "Dass ich ernsthaft fast sterben muss, damit du das endlich kapierst." Sie sah ihn finster an. "Glaub nicht, dass du in Zukunft jeden Streit einfach dadurch lösen kannst, dass du mir das Leben rettest."

Als Raphael ansetzte, etwas zu sagen, sah sie ihn gespannt an. "Es geht mir gut!", widersprach sie sofort. Sie ahnte, dass es etwas mit ihrem Streit zu tun hatte, und sie wollte jetzt hören, was er zu sagen hatte, und nicht irgendwann später. Auch wenn sie befürchtete, dass er einfach nur ein schlechtes Gewissen hatte, weil ihr Streit sie in die Arme eines Mörders getrieben hatte.

Hermine winkte ab. "So schlimm ist es wirklich nicht. Lucilias Fähigkeiten sind ziemlich erstaunlich." Da konnte wohl sogar Madam Pomfrey nicht mithalten. Sie wusste nicht so ganz, was sie noch sagen sollte, und musterte Raphael etwas unsicher. Sauer konnte sie wohl kaum noch auf ihn sein, nachdem er ihr das Leben gerettet hatte. Aber deswegen war der Streit noch lange nicht vergessen, vor allem, weil sich an sich ja nichts geändert hatte. "Danke übrigens", meinte sie schließlich leise. "Also... Dafür, dass du mich gerettet hast."

Hermine wusste nicht, wie sie Raphaels Reaktion deuten sollte, schob das aber fürs Erste beiseite. "Ganz gut, dank dir und Lucilia", meinte sie und lächelte ihn an. "Ich fühle mich jedenfalls nicht so mies, wie man es erwarten könnte, wenn man niedergestochen wurde." Das war ein ziemlich schwacher Scherz, aber sie gab sich Mühe. "Und wie geht es dir?", fragte sie dann sanft nach, denn er sah selbst ziemlich fertig aus.

Hermine wachte langsam aus ihrem tiefen Schlaf auf. Für einen Moment hielt sie das Bett für eines aus dem Krankenflügel in Hogwarts, doch kurz darauf kamen die Erinnerungen zurück. Mit einem Stöhnen schlug sie die Augen auf und setzte sich vorsichtig auf. Da entdeckte sie Raphael neben dem Bett. "Hey", meinte sie mit einem schwachen Lächeln und versuchte, sich nicht zu sehr darüber zu freuen, dass er hier war. Denn an ihren Streit von letzter Nacht erinnerte sie sich ebenfalls.

"Danke", meinte Hermine mit einem Lächeln zu Lucilia. Bei der angenehmen Berührung schloss Hermine die Augen und sank noch etwas tiefer in die Kissen. Es dauerte nicht lange, bis sie eingeschlafen war.

Hermine lächelte schwach. "Nicht für alle", bemerkte sie. Also Lucilia genauer nachfragte, seufzte sie leise. Natürlich musste sie nachfragen, doch zu ihrem Leidwesen konnte Hermine ihr nicht helfen. "Ich weiß es leider nicht", sagte sie also bedauernd. "Ich war auf dem Weg zur Burg, und es war schon dunkel. Und plötzlich ist jemand von der Seite auf mich zugesprungen und hat mich mit einem Messer angegriffen. Die Gestalt war klein und zierlich und trug einen dunklen Kapuzenmantel, aber mehr kann ich nicht sagen." Bei der Erinnerung daran verkrampfte Hermine kurz, bis ihr wieder einfiel, dass sie in Sicherheit war. Jetzt, wo sie darüber nachdachte, war ihr irgendetwas an ihrem Angreifer vertraut vorgekommen, doch war das Gefühl so vage, dass sie nichts Genaueres sagen konnte, und so behielt sie es für sich. Vielleicht bildete sie es sich ja auch nur ein.

Hermine lächelte bei Raphaels Worten leicht und nickte. Seine Geste überraschte sie dann doch, weswegen sie ihm verwirrt hinterher blickte, bis Lucilia schließlich ihre Aufmerksamkeit wieder auf sich zog. "Danke", meinte sie leise und nahm das Glas entgegen, trank aber noch nicht davon. "Also, für alles", betonte sie stattdessen. Denn so weit war sie wieder klar im Kopf, um zu wissen, dass Lucilia ihr das Leben gerettet hatte.

Hermine war ein wenig unglücklich, als Raphael sie losließ, aber das Bett war dann doch bequemer. Sie rollte sich zusammen. Die Schmerzen waren zwar weg, aber sie war müde und ihr war kalt. Als Lucilia Raphael ansprach, hob sie den Kopf und betrachtete ihn genauer. Er sah ziemlich fertig aus, stellte sie fest. Und... War das ihr Blut? Musste es wohl sein, denn er schien nicht verletzt zu sein. "Sie hat Recht", meinte sie leise zu ihm, wobei ihre Stimme kratzig und rau klang und sie die paar Wörter schon anstrengten.

Als Raphael sie wieder hochhob, schloss Hermine die Augen und schmiegte sich an ihn. Dass er weinte, oben ohne war und sich überhaupt überaus seltsam verhielt nach dem Streit, den sie gerade erst gehabt hatten, wollte sie jetzt nicht hinterfragen. Für den Moment wollte sie einfach nur seine Nähe genießen. Auch wenn sie hoffte, dass man sie bald schlafen lassen würde, denn sie hatte sich schon lange nicht mehr so erschöpft gefühlt.

-> Heilungsräumlichkeiten

So nach und nach drangen die Worte von Raphael zu Hermine durch. Was hatte er gerade gesagt? Sie wollte etwas einwerfen, widersprechen, aber sie war zu schwach, um zu reden. Doch so langsam schien, was auch immer Lucilia tat, zu helfen, denn die Schmerzen verschwanden schließlich vollständig, und nur noch ein unangenehmes Ziehen blieb zurück. Das änderte aber nichts daran, dass Hermine sich immer noch viel zu erschöpft fühlte, um mehr zu tun als zu Lucilia und Raphael hochzublinzeln.

Hermine bekam von ihrer Umgebung nicht mehr wirklich etwas mit. Ihre Welt bestand nur noch aus Schmerz und dieser bleiernen Müdigkeit, gegen die sie immer weniger ankämpfen wollte. Als sie auf den Boden gelegt wurde, stöhnte sie auf. Am Rande bekam sie mit, dass Raphael etwas sagte, doch sie verstand nicht, was. Blinzelnd versuchte sie, etwas zu erkennen, und bemerkte, dass er neben ihr kniete. Und... weinte er etwa? Das musste sie sich einbilden. Sie schloss die Augen und wollte gerade der Müdigkeit nachgeben, als sie plötzlich von einem warmen Gefühl erfüllt wurde und die Schmerzen nachließen. Vorsichtig öffnete sie die Augen wieder und erblickte... Einen Engel? Lucilia! Zumindest musste sie es sein.

Hermines Welt bestand inzwischen nur noch aus Schmerz. Dass sie auf der Straße lag, merkte sie nicht, genauso wenig wie dass ihr Angreifer von ihr abließ. Was sie jedoch bemerkte, war eine bleierne Müdigkeit, die sich immer mehr in ihr breit und ihre Glieder schwer machte. Ihre Hand rutschte zur Seite, sodass sie ungehindert weiter blutete. Eine leise Stimme sagte ihr, dass sie nicht einschlafen sollte, doch ihre wirren Gedanken konnten nicht mehr so ganz fassen, wieso nicht. Plötzlich spürte sie jemanden neben sich und wollte reflexhaft nach demjenigen schlagen, doch sie bekam nicht einmal ihre Hände gehoben. Dafür wurden diese plötzlich von jemandem anderen angehoben und auf ihren Bauch gedrückt. Sie keuchte auf und wurde durch den erneut einsetzenden Schmerz wieder so weit in die Gegenwart gerissen, dass sie neben sich Raphael erkennen konnte. "Raph...", fragte sie verwirrt, doch ihre Stimme war zu schwach und erstarb, bevor sie weiter sprechen konnte. Sie spürte, wie sie hochgehoben wurde, und stöhnte schmerzerfüllt auf. Ihr war bewusst, dass Raphael sie trug, aber sie bekam nicht mehr richtig zustande, wieso und wohin. Sie wusste nur, dass jeder seiner Schritte höllisch weh tat und sie einfach nur noch wollte, dass das aufhörte.

-> Eingangshalle