Lysil musterte Leo für einen Moment. Er wurde mit jeder Wiedergeburt verschlossener und kühler, das war ihr schon aufgefallen. Aber normalerweise ließ sie ihn nie alleine und schaffte es immer, ihm wieder Freude am Leben zu verschaffen. Doch diesmal war sie gestorben, und er hatte ohne sie weitergemacht. Das war dann wohl das Ergebnis, und es zog ihr schmerzhaft das Herz zusammen. "Oh, du würdest dich wundern", erwiderte sie mit einem schiefen Lächeln und beugte sich über ihn. Was geschehen war, war nicht schwer zu erkennen. "Ich werde dein Hemd entfernen müssen, um zu sehen, ob die Kugel ausgetreten ist oder noch in dir steckt", erklärte sie ihm mit sanfter Stimme und begann, es vorsichtig von seinem Bauch zu lösen, denn der Stoff hatte sich durch das ganze Blut an die Wunde geklebt.

Was sehen dachte er genervt. Einfach auch weil es für ihn schon schwer genug war überhaupt wach zu bleiben. Gerade als er sich aufmühen wollte, um hier weg zu kommen. Egal aus welcher Kraft heraus. Überraschte Lysil ihn komplett. Perplex im ersten Moment sah er sie an. Jedoch trat sehr schnell ein amüsiertes, wenn doch finsteres Lächeln auf seine Lippen. "Tz, was ein seltsames Weib du bist." schimpfte er und legte sich auf die Seite. Mit dem Gesicht von ihr fort. Weil er kein Bock mehr hatte weiter ins Reden zu kommen.

Lysil lächelte ihn mit funkelnden Augen an. "Das sagt man mir nicht zum ersten Mal." Leo war nie begeistert gewesen, wenn sie ihn in den verschiedenen Leben aufgesucht hatte, und oft genug hatte er sie in ihrer Hartnäckigkeit als seltsam bezeichnet. Aber sie hatte ihn noch immer von sich überzeugen können. Es war seltsam für sie, Leo so nahe zu sein. So nah und doch so fern... So war es zwar immer, aber diesmal noch einmal mehr, weil er, im Gegensatz zu ihr, nicht wiedergeboren worden war. Sie war ihm niemals in unterschiedlichen Gestalten begegnet, immer hatten sie neu angefangen. Aber vielleicht lag darin ja ihre Chance... "Die Kugel steckt noch in dir", stellte sie fest. "Ich werde sie also herausholen müssen, und das wird schmerzhaft werden. Es tut mir leid." Und genauso die verschiedenen Stoffasern seines Hemdes, die durch die Kugel in die Wunde gerissen worden waren. Vorher konnte sie sie nicht verschließen. Sie legte ihre Hände vorsichtig auf die Verletzung und fing an, mit leiser, aber wunderschöner Stimme zu singen, und alles, was sich in der Wunde befand, so herauszulocken. Sie konnte spüren, wie sich die Kugel bewegte, und erschauerte von den Schmerzen, die das verursachte.

Schmerzen. Pah. "Passt schon." meinte er, wunderte sich aber wie sie das bewerkstelligen wollte, würde sie mit ihren kleinen fingern reingreifen wollen? War so die frage die er hatte. Wurde jedoch ziemlich schnell ein wenig zu überrumpelt. Ihre kleinen Hände legten sich auf die Wunden und sie fing an zu Singen?? Jetzt war Leo komplett verwirrt und auch wütend. Der dumpfe Schmerz, den er spürte tat er damit ab, das es eben die Wunde war und nicht etwas, weil sie darin etwas zu bewegen vermochte. Erzürnt krallte er sich ihre Hände. Schwang herum und schon im nächsten Moment lag sie unter ihm, ihre Hände hatte er über ihren Kopf zwischen seiner einen Hand. Mit der anderen Stützte er sich ab. Blass vor Schmerzen und wütend sah er sie an. "Verarschen kann ich mich auch selbst, klar!" fauchte er sie wütend an.

Lysil spürte, dass sie die Kugel schon beinahe greifen konnte, als sie unterbrochen wurde. Sie gab einen überraschten Laut von sich, und fand sich im nächsten Moment unter Leo wieder. Ihr Herz raste ihr bis zum Hals, und geschockt sah sie ihn an, wobei es mehr sein Blick als seine Tat war, was sie so aus der Fassung brachte. "Ich verarsche dich nicht", versicherte sie ihm. "Bitte, lass es mich einfach versuchen. Gib mir noch ein paar Minuten, dann wirst du selbst sehen, wie es funktioniert. Diese Welt ist anders als die, aus der du kommst." Sie lächelte ihn an. "Hier kann Gesang tatsächlich heilsam sein."

Das zu schnelle aufstehen tat ihm nicht gut. Schweiß bildete sich auf seiner Stirn und ihm wurde schwindelig. "Klappe..." presste er hervor, bevor er einknickte und auf ihr zusammenbrach. Sein Kopf glühte und fühlte sich an als würde er explodieren wollen. Der Schmerz war einfach zu viel gewesen, weshalb er nicht länger es schaffte bei Bewusstsein zu bleiben.

Lysil seufzte leise. Offenbar war Leo mit den Jahren nur sturer geworden. Doch zu einer Antwort kam sie nicht mehr, da sackte er schon über ihr zusammen. Ihr Atem ging merklich schneller. Seine plötzliche Nähe warf sie aus der Bahn, und für einen Moment war sie wie erstarrt, ehe sie ihn vorsichtig von sich schob. So konnte sie immerhin mit ihrer Arbeit fortfahren. Als sie wieder mit ihrem Gesang begann, setzten auch die Schmerzen wieder ein, doch inzwischen war sie geübt darin, sich von diesen nicht beeinträchtigen zu lassen. Schließlich hatte sie sowohl die Kugeln als auch sämtliche Stoffasern entfernt und machte sich nun daran, die Wunde zu schließen. Inzwischen stand ein leichter Schweißfilm auf ihrer Stirn, und als sie fertig war, sackte sie erschöpft gegen den Baumstamm, an dem die Plattform befestigt war. Den Blutverlust von Leo konnte sie nicht ausgleichen, weswegen sie davon ausging, dass er noch eine Weile schlafen würde, ehe er erwachte. Am liebsten hätte sie es ihm gleich getan, doch konnte sie ihn jetzt, wo sie ihn wieder hatte, nicht einfach so aus den Augen lassen.

Kaum war Leon weg gewesen, träumte er seltsam. Ein Gefühl der Bekanntheit überkam ihn. Ein Schmerz der so voller Leid war. Doch er hatte keine Ahnung was das bedeuten könnte. Langsam kam er wieder zu Bewusstsein. Der Traum vergessen. Er blinzelte und sah in den Himmel, denn er jetzt nun schon zum zweiten Mal argwöhnisch betrachtete. "Hätte das hier nicht einfach ein Traum bleiben können." grummelte er genervt.

Lysil hatte es einige Mühe gekostet, die ganze Zeit über wachzubleiben. In ihren Knochen schien immer noch der Schmerz zu stecken, und sie war so müde... Aber sie hielt sich damit wach, Leo in aller Ausführlichkeit zu betrachten. Sie hatte ihn zuletzt gesehen, als er vierzehn gewesen war, und jetzt konnte sie sich nicht an ihm sattsehen. Als er schließlich wieder zu sich kam, musste sie lächeln. "So übel ist es hier nicht", versicherte sie ihm. "Und hier ist die Wahrscheinlichkeit auch wesentlich geringer, dass du angeschossen wirst. Es gibt nämlich nur Bögen und Armbrüste." Sie würde zu gerne wissen, wie das überhaupt geschehen war, wagte aber nicht, zu fragen. Leo schien sehr misstrauisch zu sein, da sollte sie nicht zu aufdringlich werden.

Fast hatte er vergessen das er nicht alleine war. Angespannt kontrollierte er sofort seine Wunde. Welche nicht mehr da war. "Scheiße." Sie hatte nicht gelogen. Er setzte sich wieder auf und starte sie an. Begutachtete sie von oben bis unten. Bevor er ihr antwortete. "Wird sich noch herausstellen." Immerhin besaß. Ja sein Ort auf jedenfall, sehr viel Technik die vieles erleichterte im Leben. "Wo bin ich hier?" musste er erstmal klarstellen.

Lysil lächelte amüsiert. "Ich habe dir doch gesagt, dass es funktioniert", erinnerte sie ihn schmunzelnd. Als sein Blick so auf ihr ruhte, wurde sie schon beinahe nervös. Aber natürlich sah er in ihr immer noch eine Fremde, wie seine nächsten Worte bewiesen, und wider jede Vernunft versetzte es ihr einen Stich. "In Kaylenda", erklärte sie ihm bereitwillig. "In diese Welt führen verschiedene Portale aus anderen Welten, und immer wieder verschlägt es fremde Wesen hierher. Ein Zurück gibt es aber nicht." Sie stand auf, wobei sie leicht schwankte. Doch sie fing sich wieder. "Komm mit mir, ich kann dir ein Gasthaus zeigen, wo du dich ausruhen kannst, und morgen können wir dann in die Hauptstadt aufbrechen", schlug sie ihm vor. Ihr Blick ruhte warm und freundlich auf ihm, und in ihm lag die Bitte, ihr zu vertrauen. Er musste sie nicht lieben, das konnte sie nicht erwarten, nicht jetzt schon. Aber wenn er ihr vertraute... Es würde ihr die Hoffnung geben, die sie gerade brauchte.

Sein Blick verfinsterte sich. "Geh und vergiss vergiss lieber, solange ich noch so geschwächt bin." ranzte er sie dumm an. Versuchte langsam wieder aufzustehen. Was er auch schaffte und blickte um sich. Wie zum fick soll ich hier runter kommen? etwas verwirrt stand er starr da, bis er einen wenig fand. uff, blind werd ich auch noch. ohne weiter auf die Tusse zu achten, kletterte er hinunter von der Platte.

Kurz wurde eine tiefe Traurigkeit in Lysils Augen erkennbar, und ihr Lächeln verblasste. Doch gleich darauf tauchte es wieder auf. "Gerade weil du so geschwächt bist, kann ich das nicht", erklärte sie ihm, auch wenn es nur die halbe Wahrheit war. "Ich helfe Menschen, also werde ich dich nicht alleine lassen." Sie trat beiseite, damit er die Leiter nehmen konnte, und folgte ihm dann einfach.

Er war eindeutig zu erschöpft um diskutieren zu wollen und rational betratet könnte ein Einwohner praktisch sein. "Tu was du nicht lassen kannst." irgendwann würde sie schon ihre Lust verlieren. Er schlug einen Weg ein, der ins Dickicht der Bäume führte. Lieber weg von Städten, solange er nicht wusste was das hier für ein Ort war. Auf diese ganze dumme Sache mit mit Kaylenda, Portal und was die Tussi nicht alles gesagt hatte, konnte und wollte er nicht eingehen oder gar weiter drüber nachdenken. Er wusste fürs erste das es hier wohl Kaylenda ist. Er hatte auf der Erde zwar noch nie davon gehört. Akzeptiere Die Realität jedoch fürs erste.

Lysil folgte ihm weiter. "Dieser Weg führt in den Wald, nicht in die Stadt", bemerkte sie ruhig, während sie so aufholte, dass sie neben ihm hergehen konnte. "Und der Wald ist gefährlich. Hier leben die Verbannten, und du bist gerade wohl eher nicht in der Verfassung, dich gegen sie zur Wehr zu setzen." Sie selbst konnte sich durch ihre Gestaltwandler-Fähigkeiten in Sicherheit bringen, weswegen sie nicht wirklich Angst verspürte - nicht um sich selbst. Um Leo dafür umso mehr, doch wusste sie, dass sie ihm diese nicht zeigen sollte.